Entfesselt: Wenn die Wilde Frau sich befreit!

Am Samstag war meine Wilde Frau ganz nah unter der Oberfläche:

Sie kribbelt in meiner Haut, sie singt in meinen Muskeln zum Tanz. Ich bin hibbelig, voller Energie und wach – mitten in der Nacht. Ich höre Lieder wie „Savage Daughter“ und „Beautiful Things“ und in mir steigt dieser Drang auf, aus vollem Halse zu singen. Wie eine große Luftblase im Wasser steigt das Bedürfnis aus meinem Bauch in meine Kehle hinauf. Meine Wilde Frau will sich bahnbrechen in meiner Stimme und nackt tanzen in Eiseskälte.

Ihre Stimme

Sie will kommen mit allem was sie hat, wie sie es rauh wispernd ausdrückt:

With light and blood, thunder and wind, ancient songs and starburst skies, seawaves high and all undertows below, with the magnetic rhythm of earth’s heartbeat and the magic of old times… to span our wings. Wings which span lifetimes, aeons, dimensions, just freaking everywhere!”

Ich muss singen – laut, unashamed, aus dem Bauch heraus. Nicht unbedingt zwangsläufig schön. Meine Wilde Frau erinnert mich daran, dass wahre Freiheit nicht in Perfektion, sondern im authentischen Ausdruck meiner selbst liegt. Und dass das Leben wild ist: matschig, erdig, wechselhaft, voller Wachstum und Wildwuchs, Vergehen und Zyklen. Nichts davon ist gradlinig und vollständig zähmbar. 

Aber meine Familie schläft. Ein kurzer Moment der Unsicherheit und des Innehaltens. Doch heute wende ich mich nicht ab, heute gehe ich raus in die Dunkelheit, Richtung Wasser. Und obwohl ich (als Frau) allein unterwegs bin, habe ich keine Angst. Ich bin so stark, groß und kraftvoll, dass mir nichts passieren kann. Kurz entschlossen ändere ich meinen Kurs und laufe auf die Brücke, um in den dunklen Fluss hinunter zu brüllen, zu singen, mit allem, was ich bin. Und zu tanzen.

Oh, Shit!

In dieser Nacht ist kein einziger Fußgänger auf der Brücke, nur ein paar Autos überqueren sie. Immer wenn die Lücke größer ist, tanze ich zu „Ancestors“ (Elephant Music). Ich lerne die Lyrics von „Beautiful Things“ (Benson Boone) und von „Savage Daughter“ (Wyndreth Berginsdottir), immer wieder auf Repeat.

Und plötzlich … hält ein Auto neben mir. „Shit“, denke ich, denn ein kleiner Teil von mir hatte daran gedacht, dass das passieren könnte, aber die Wilde Frau war stärker und brauchte R A U M.

Die Polizistin steigt mit leicht verkniffenem Gesicht aus. Und trotz der leichten Beklommenheit dieses einen Anteils, der so gern sicher ist, lieb und zuvorkommend, der so gern den Konditionierungen nachgibt, hindert mich nichts daran, auf die Polizistin zuzugehen und fröhlich: „Alles klar bei Ihnen?“ zu rufen. Ihre Irritation ist greifbar. Skeptisch schaut sie mich an: „Das würden wir gern von ihnen wissen.“ Ich antworte enthusiastisch und mit Nachdruck: „Mir geht’s super!“ Sie bleibt skeptisch: „Was machen sie hier?“

Meine Antwort? „Singen!“

Ich habe nicht einmal ansatzweise eine Alternative zur Wahrheit parat. „Aha. Was denn?“ Ich zeige ihr mein Handy mit dem geöffneten Lied auf YouTube und ergänze noch: „Und Savage Daughter.“ Irgendwie ist es wichtig, das zu erwähnen. Vermutlich spricht da die Wilde Frau in mir. „Kein Gothic oder so“, ergänze ich und denke: „Was ein Glück, dass nicht meine alternative Playlist auf ist.“ Die Polizistin möchte wissen, wo ich wohne. Sie verliert nie ihren skeptischen Gesichtsausdruck. „Ich wollte mir nur die Beine vertreten“, sage ich etwas ruhiger. „Das sei ihnen gegönnt …“, meint sie und die leichte Pause legt mir unausgesprochen nahe, nach Hause zu gehen. „Es haben einige Leute angerufen wegen einer Person auf der Brücke …“, fügt sie hinzu. Mist! Dabei hatte ich so darauf geachtet, mich nicht brütend ans Geländer zu lehnen! Ich seufze tief.

Ihre Lektionen

In mir drin drängen mehrere Gedanken nach vorn, als würden sie sich auf einem Konzert mit ihren Ellenbogen aneinander vorbeidrängeln:

„Ich werde mich nicht schuldig dafür fühlen, dass Menschen sich Sorgen gemacht und die Polizisten gerufen haben.“

„Oder dafür, dass ich mich SOOOOO GUT fühle!“

„Wie gut, dass die Polizisten mich noch angetroffen haben, sonst hätten sie womöglich noch den Fluss abgesucht.“

„Ob das Ärger gibt?“

„Aber wie schön eigentlich, dass – obwohl wir Frauen gewöhnt sind, Angst zu haben und konditioniert sind, das Gefahrenrisiko um uns herum zu analysieren – sich Menschen stattdessen um eine Fremde Gedanken gemacht haben, oder?“

„Ist es so außergewöhnlich, gut gelaunt zu sein?“

„Vielleicht hätte ich einfach sagen sollen, ich sei frisch verliebt …“

Es ist eine interessante Mischung aus alten Befürchtungen und Sorgen, aber vor allem Kraft, Selbstvertrauen, Selbstwirksamkeit, Freude, Humor, Wertschätzung, Dankbarkeit, Hoffnung, Bestärkung und Befreiung.

Die alles entscheidende Frage...

Die Polizistin steigt wieder ins Auto, während ich mich zum Gehen wende. „Und ich hab’ auch nichts genommen!“, rufe ich ihr aus mir unerfindlichen Gründen noch nach. „Jaja“, brummelt sie. Ich denke nicht, dass sie mir geglaubt hat. Was denkt sie wohl, was ich genommen habe?

Aber die Hauptfrage, die mich beschäftigt – während ich wie in der Straßentanzszene eines alten Hollywoodmusicals nach Hause tanze – ist:

Was steht wohl im Bericht? Subjekt singt?

Image von OpenClipart-Vectors über Pixabay

Falls du Interesse an den erwähnten Liedern hast, findest du sie bei YouTube: 

„Savage Daughter“ von Wyndreth Berginsdottir (Das Original, gesungen von der Urheberin selbst.)

„Beautiful Things“ von Benson Boone

„Ancestors“ von Elephant Music

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